Historie XII

Otto Kölbel


Zitat aus dem Buch "Engelsdorf bleibt" von Tino Hemman: "Jede Nation dieser Welt hatte irgendwann aus heutiger Sicht unberechtigte kriegerische Handlungen unternommen. Wirklich jede. Es ist keine Verherrlichung der jeweiligen Diktatur, wenn man die Heldentaten des einzelnen Soldaten hervorhebt und daran erinnert, sei es im Text oder mit einer besonderen Notiz auf dem Grabstein. Schreibt man einen einzelnen Bericht, so heißt das nicht immer, dass der Schriftsteller konform geht, mit dem, was damals passiert ist. Nur weil über bestimmte Dinge nicht geredet wird, hat es diese Dinge nicht gegeben. Sie sind trotzdem passiert und es ist der Wertschätzung des einzelnen Individuums genötigt, dass bestimmte Taten der Nachkommenschaft nicht vorenthalten werden." Ende des Zitats.

Ritterkreuzträger wurde man im 2. Weltkrieg nicht ohne weiteres. Schon gar nicht, wenn man einfacher Soldat war. Das Ritterkreuz wurde für besondere Tapferkeit, die kampfentscheidend war, verliehen. Voraussetzung für die Verleihung war ein selbstständiger Entschluss, Tapferkeit und ein Erfolg in der Kampfesführung.

Ritterkreuz

Otto Kölbel war nach dem Jagdflieger Heinz Bär der zweite Ritterkreuzträger aus Engelsdorf. Durch sein umsichtiges und tapferes Verhalten rettete er im Winter 1943/1944 an der Ostfront vielen deutschen Soldaten das Leben.


Hier ein Auszug aus "Engelsdorf bleibt":


Ostfront, im Winter 1943/1944. Es war bitter kalt. Seit Tagen kamen die Nachschubkräfte der rückwärtigen Einheiten nicht einmal mehr annähernd an die Frontlinie heran, an der sich das Grenadier Regiment 542 der Wehrmacht festgesetzt hatte. Mühevoll schaufelten die Soldaten, von denen manch einer keine 18 Jahre war ihre Schützengräben frei, um abends traurig von der Heimat und einem warmen Essen zu träumen.. Ganz in der Nähe hielten sich sowjetische Panzereinheiten, deren Kommandeure ununterbrochen und vor allem des Nachts den Feuerbefehl gaben und die kleinen zersprengten Einheiten beschossen, die zu einer Gegenwehr nicht mehr fähig waren.

Obergefreiter Kölbel, einer der Gruppenführer, kniete neben einem Sanitäter und wischte sich mit dem Armrücken Ruß und Schweiß aus der Stirn. Vor ihm lag sein Kompaniechef, der gemeinsam mit dem Gefreiten Müller, einem jungen, lustigen Burschen in den Detonationskreis einer russischen Granate geraten war. Beide waren sofort tot. Kölbel wusste, was jetzt kam. Er hatte von nun an die Kompanie zu führen. Eine Truppe von hungernden, fertigen Soldaten, die Angst vor jedem neuen Angriff der Sowjets hatten. Die Einheit hatte sich auf einer Länge von fast zwei Kilometern vor dem Wald festgesetzt. Der Wald im Rücken schien unendlich, war Tag und Nacht schwarz, nur an einigen Stellen flackerten kleine Brandnester auf. Obergefreiter Otto Kölbel wusste, dass sich am rechten Flügel seiner Einheit eine Lücke in der Front befand, deren Ausmaße in etwa zwei Kilometer betrugen, daneben lag die Nachbareinheit, die einen baumlosen Taleinschnitt sicherte, durch den die Sowjets nicht brechen durften. In seinem Abschnitt drohte keine unmittelbare Gefahr, eine weitere Kompanie war aus dem Hinterland unterwegs, um die Einheiten an der Front zu versorgen und zu unterstützen.

In den Morgenstunden, die Nacht war noch nicht gewichen, durchriss ein heftiges MG-Geknattere die Stille, Sekunden später pfiffen die ersten Panzergranaten durch die Luft. Kölbel wartete auf Einschläge, es passierte jedoch nichts. Plötzlich schoss dem Obergefreiten ein Gedanke durch den Kopf: Die Russen versuchen am Nebenabschnitt durchzubrechen! Die Soldaten an eben dieser Stelle waren genau so am Ende wie seine Einheiten. Es sollte unklar sein, wie lange die Nachbareinheit der Umklammerung noch standhalten würde. Schnell ließ er die Gruppenführer kommen. Diese huschten durch den Kriegslärm aufgeschreckt durch die Gräben. "Sie können aufstehen, meine Herren," meinte Kölbels Otto, "uns droht hier keine unmittelbare Gefahr. Die Russen sind da drüben." Er zeigte in die Richtung der Nachbareinheit. "Wir befreien unsere Jungs aus der Lage!" Er wies die Gruppenführer an, dass man sich teilen sollte. Die Hälfte seiner Einheit würde sich durch den Wald bis in den baumlosen Taleinschnitt kämpfen, auf der anderen Talseite wiederum am Waldesrand den Feind an der rechten Flanke treffen. Die zweite Hälfte sollte mit ihm einige Meter ins Feindesland eindringen, um dann die Angreifer an der linken Flanke und im Rücken zu schlagen.

Obwohl die Soldaten bis zum Umfallen erschöpft waren, zogen alle mit. Nur eine kleine Gruppe mit Verletzten und einige Soldaten sollten die Stellung halten. Jeder aus der Einheit holte die letzten Reserven aus sich heraus, manch einer küsste nochmals das Bild der Geliebten, dann setzten sich die Grenadiere in Bewegung.

Das Unternehmen gelang und die Verluste in der eigenen Einheit waren gering. Die Sowjets wurden zunächst abgelenkt, weil sie teils von hinten angegriffen wurden. Vier Panzer der Russen wurden vernichtet, die Nachbareinheit mobilisierte ob der nahenden Hilfe all ihre Reserven. Als denn die zweite Hälfte in die rechte Flanke des Gegners schlug, die sich schon fast aufgelöst hatte, dachten die Russen, dass aus dem Hinterland Nachschubeinheiten der Deutschen aufgerückt wären und zogen sich fast augenblicklich zurück. Am Nachmittag des folgenden Tages näherten sich aus dem Westen die angekündigten deutschen Einheiten. Ein großer Teil von Kölbels Einheit wurde abgelöst und bekam Fronturlaub, auch der Engelsdorfer selbst. Auf dem Weg in die Heimat sprachen die Soldaten häufig von der erfolgreichen Aktion, die sich natürlich bis Berlin durch schwieg. Otto Kölbel hätte seine Einheit auch auf dem zu sichernden Frontabschnitt belassen können, auch dann wäre ihm kein Vorwurf gemacht wurden. Aus soldatischer Sicht jedoch hat er das Richtige befohlen.

Es ist nicht gezählt, wie viele Leben er damit gerettet, wie vielen deutschen Soldaten er damit das Heimkommen ermöglicht hat. Zweifellos, er hat den verheerenden Krieg verlängert, sicherlich war die deutsche Armee Aggressor in Sowjetrußland, zweifellos kamen Soldaten des Gegners um. Doch wäre Kölbel ein Sowjetsoldat gewesen, man hätte ihm ein Ehrenmal gesetzt.



Otto Kölbel verstarb am 11.07.1974 und wurde auf dem Sommerfelder Friedhof beigesetzt.